Frische Säure statt herber Frische: Cachaça ist der neue Gin

Ein perfekter Caipirinha mit Cachaça Mulatinha der Cachaça Destillerie Alambique Paratiana in Paraty

Was wann wie getrunken wurde 

Ich erinnere mich noch sehr gut an die 90er Jahre, in denen Cocktail-Trinken in Mode kam. Da waren plötzlich karibisch angehauchte Cocktails mit Limetten und Crushed Ice wie Caipirinha oder Mojito schwer angesagt, nachdem in den schrillen 80ern bei Drinks vor allem auf schreiende Optik und viel Zucker geachtet wurde: Getränke mit grüner Farbe und Partyspießen sollten den Ich-will-Spaß-Faktor hochtreiben. Später, in den Nullerjahren, wurde viel, ich sage mal Zucker-Zeug mit Energy-Drinks gemixt, vor allem mit Wodka. Irgendwann vor zehn Jahren kam die Hugo-Welle über uns gerollt, um von der Aperol-Spritz-Welle überholt zu werden. Sind diese "Longdrinks im Weinglas" gefühlt vor allem bei Frauen beliebt, gelang vor allem bei Männern in den letzten Jahren Gin und Tonic ein kometenhafter Aufstieg. Überall im (Hinter-) Land wurden plötzlich Destillerien eröffnet, jeder trank Gin Tonic mit Gurke statt mit Zitrone und wies sein Kennerwissen damit aus, dass er sogar die perfekte Tonic Water-Marke zu den entsprechenden Gin-Marken zu benennen wusste. Ein klares Hipster-Phänomen also. Allen, die nun leicht genervt davon sind und auf der Suche nach unbekannten Klassikern fernab irgendwelcher Trends stehen, möchte ich zurufen: Cachaça ist der neue Gin! Und das werde ich euch jetzt auch beweisen. 

Der Gin-Peak ist erreicht – Vielseitige Spirituosen haben es einfacher

Was ganz klar auffällt: Vielseitige Spirituosen, die sowohl als Longdrink, Cocktail und vor allem auch pur genossen werden können, halten sich eigentlich dauerhaft oben. Hier war und ist Whiskey schon immer König und hält sich immer mal wechselnde, kleine Prinzen an seiner Seite, allen voran Wodka und Rum. Gin hat die beiden aber ganz klar abgelöst in den vergangenen Jahren. Als uralter Klassiker im Rahmen der Retrowelle soll er seinem Trinker wohl einen intellektuellen Touch verleihen, wir kennen das von Möbeln: Auf einmal werden dänische Teakholz-Möbel unter dem Begriff Mid Century wieder ganz hoch gehandelt und Herscharen junger Erwachsener fachsimpeln über die verschiedenen Designer einer längst vergangenen Zeit. Kein Wunder also, dass sich der gepflegte Gentleman am liebsten in einen solchen Sessel nur mit einem schönen Glas Gin Tonic mit Gurke niederlässt, um an seinem jugendlichen Bart zu zwirbeln und gedankenverloren über Gott und die Welt zu sinnieren. Das Sprichwort lautet: "Wodka ist für den Wirkungstrinker, Gin für den Bildungstrinker." Nun gut –

Hingegen ist die Zubereitung eines Gin Tonics denkbar einfach und nicht besonders intellektuell: Eiswürfel ins Glas, Gin und Tonic rein und fertig. Natürlich gibt es an außergewöhnlichen Bars dann noch von kleinen Inszenierungen bis hin zu großen Shows der Barkeepers alles, was sogar aus einem Gin Tonic ein Event macht, aber Hand aufs Herz, Leute: Wird Gin Tonic an sich nicht auch irgendwann langweilig? Denn Gin, so sehr ich persönlich auch ein Freund des Herben bin, ist sehr einseitig: Er ist nur als Longdrink mit Tonic Water interessant, es gibt keine nennenswerten Cocktails und ich denke, pur wird er auch eher weniger getrunken. Zwar wird immer schön an den Flaschen gerochen, um irgendwelche Aromen herauszuschnüffeln, aber dann kommt er doch nur mit Tonic ins Glas. Und woran merken wir, dass der Gin Peak erreicht wurde? Allein, weil eine Flasche Distilled Gin kein soooo besonderes Geschenk mehr ist, sondern eher ein müdes Lächeln hervorruft als helle Begeisterung. 

Besonders vielseitig: Cachaça

Was haben wir bis jetzt gelernt? Vielseitigkeit ist wichtig, damit sich eine Spirituose oben halten kann. Longdrinks sind nicht vielseitig und sowieso keine Quellen vielseitigen Aromengenusses. Wir schlussfolgern daraus, dass die Gin Tonic-Kombination als Longdrink völlig überbewertet wird. Wer aber besonders vielfältig ist und ein jahrhundertealter Klassiker ist: Die brasilianische Cachaça. Cachaça ist die drittstärkste Spirituose weltweit und das hat nicht nur damit zu tun, dass es als Nationalgetränk Brasiliens – eines der größten Länder der Erde – einen gewissen Flächenvorteil hat. Cachaça kommt in die beliebtesten Cocktails, allen voran natürlich in den Caipirinha mit Rohrzucker und Limetten. ABER, und das wissen nur wenige: Traditionell hergestellte Cachaça, wie ich sie in meinem Webshop vertreibe, ist auch pur ein ganz klarer Fall für das Degustationsglas und ein wahrer Hochgenuss. Die Cachaça an sich ist erst einmal trocken, also ungesüßt, bringt aber eine ganz leichte Süße von Natur aus mit, schließlich wird sie – übrigens wie Rum auch – ja auch aus Zuckerrohr hergestellt. 

Alles darf ein Getränk sein, nur irgendwie schwer darf es nicht ein. Daher sind auch Rezepte im Umlauf, die sogar Portwein mit Tonic auffrischen. Allgemein scheint es mir ein Trend zu sein, nicht nur Koch-Rezepte nachzukochen, sondern auch bei privaten Hausparties anspruchsvolle Cocktail-Rezepte auszuprobieren. Hier legen wir immer größeren Wert auf Individualität. Vor all’ diesen Hintergründen ist die Cachaça eigentlich perfekt: Sie ist ein Klassiker mit einer jahrhundertealten Geschichte (die ich noch erzählen werde), sie ist sehr vielseitig und sie ist vor allem im Cocktail-Klassiker Caipirinha mit Limetten, Eiswürfeln und Rohrzucker sehr frisch und alles andere als schwer (übrigens: Die einzig richtige Zubereitung kannst du hier nachlesen). Es gibt viele fruchtige Rezepte mit Cachaça und wer sie ausprobiert, ist gleich in Rio am Strand, fühlt sich leicht und sommerlich und nicht so kompliziert verkopft. Wobei es rund um Cachaça natürlich sehr viel zu erzählen gibt, z. B. warum wir keinen braunen Zucker nehmen, warum Zeit die beste und wichtigste Zutat ist (das könnte mit dem brasilianischen Lebensgefühl und der Lebenseinstellung der Brasilianer zu tun haben) oder worin der Unterschied zwischen Cachaça und Rum besteht. Wer in Bezug auf Cachaça also schlaumeiern will, darf gern diesem Blog folgen und wird am Ende erfahren haben, warum Cachaça für Weltbürger, Kosmopoliten und Freunde der schönen neuen, von mir aus auch digitalen Welt ist: Weil es Brasilien zum Trinken ist – und Brasilien ist schließlich ein wahrer melting pot aus netten Menschen aller Herren Länder.  

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